Die Rechtslandschaft für Verbände und Unternehmen im Wettbewerbsrecht ist ständig in Bewegung. Eine jüngste Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) wirft ein neues Licht auf die Vollstreckung von Unterlassungstiteln, die von Wirtschaftsverbänden erwirkt wurden. Im Kern geht es darum, ob eine nachträgliche Gesetzesänderung – speziell das Erfordernis der Eintragung in die Liste qualifizierter Wirtschaftsverbände nach § 8b UWG – dazu führen kann, dass alte Unterlassungstitel nicht mehr vollstreckt werden dürfen. Diese Thematik ist besonders relevant für Online-Händler, die oft mit Abmahnungen und daraus resultierenden Unterlassungserklärungen oder Urteilen konfrontiert sind.
Der Hintergrund: Weniger Abmahnmissbrauch durch strengere Regeln
Das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs, das 2020 in Kraft trat, hatte ein klares Ziel: dem Missbrauch von Abmahnungen durch unseriöse Verbände einen Riegel vorzuschieben. Ein zentrales Instrument dafür war die Einführung des § 8b UWG. Dieser Paragraph schreibt vor, dass Wirtschaftsverbände, die Wettbewerbsverstöße verfolgen wollen, in einer vom Bundesamt für Justiz geführten Liste eingetragen sein müssen. Nur so gelten sie als “qualifiziert” und dürfen Abmahnungen aussprechen oder klagen.
Der Gesetzgeber wollte damit sicherstellen, dass nur Verbände aktiv werden, die bestimmte Qualitätskriterien erfüllen, etwa keine Einnahmen hauptsächlich aus Abmahnungen generieren oder keine unangemessen hohen Vergütungen zahlen. Für viele Unternehmen, die sich zuvor mit ungerechtfertigten Abmahnungen zu Themen wie Impressum, Datenschutz oder Barrierefreiheit herumschlagen mussten, war dies eine willkommene Neuerung.
Wenn das alte Recht auf das neue trifft: Die Vollstreckungsabwehrklage
Was aber passiert mit Unterlassungstiteln, die ein Verband vor dieser Gesetzesänderung erwirkt hat? Oder mit solchen, die noch während einer Übergangsfrist aufgrund einer “Altzuständigkeit” erstritten wurden? Hier kommt die sogenannte Vollstreckungsabwehrklage gemäß § 767 der Zivilprozessordnung (ZPO) ins Spiel.
Eine Vollstreckungsabwehrklage ist ein mächtiges Instrument. Sie erlaubt es einem Schuldner, die Zwangsvollstreckung aus einem gerichtlichen Urteil oder einem anderen Titel für unzulässig zu erklären. Dies geschieht, wenn neue Gründe aufgetreten sind, die dem ursprünglichen Anspruch entgegenstehen. Es geht dabei nicht um die Korrektur des alten Urteils selbst, sondern darum, dessen Vollstreckbarkeit zu beseitigen.
Die BGH-Entscheidung: Klare Verhältnisse für alte Unterlassungstitel
Der BGH hat nun entschieden, dass eine nachträgliche Gesetzesänderung, die die Klagebefugnis eines Verbandes entfallen lässt, einen Grund für eine Vollstreckungsabwehrklage darstellen kann. Konkret bedeutet das: Ist ein Verband, der einen Unterlassungstitel besitzt, nicht in die Liste nach § 8b UWG eingetragen, kann ein betroffenes Unternehmen gegen die Vollstreckung dieses Titels vorgehen.
Die Richter stellten klar, dass Unterlassungstitel “in die Zukunft wirken” und daher von späteren Gesetzesänderungen betroffen sein können. Wenn das dem Titel zugrunde liegende Verbot durch die Gesetzesänderung wegfällt oder – und das ist der entscheidende Punkt hier – die Berechtigung des Gläubigers (also des Verbandes) zur Geltendmachung entfällt, dann kann die Vollstreckung für unzulässig erklärt werden.
Das Gericht wies die Ansicht der Vorinstanzen zurück, die Übergangsvorschrift des § 15a Abs. 1 UWG schütze die Vollstreckbarkeit “alter” Titel dauerhaft. Diese Übergangsregelung sollte Verbänden lediglich Zeit geben, sich listen zu lassen und die Fortführung laufender Erkenntnisverfahren ermöglichen. Sie trifft jedoch keine Aussage über das Zwangsvollstreckungsverfahren oder die Vollstreckungsabwehrklage. Der Gesetzgeber wollte ausdrücklich einem Missbrauch der Anspruchsbefugnis entgegenwirken, und dieses Ziel würde unterlaufen, wenn unqualifizierte Verbände weiterhin “Alttitel” vollstrecken könnten.
Praktische Konsequenzen für Unternehmen und Verbände
- Für Unternehmen (insbesondere Online-Händler): Wenn ein nicht in der Liste eingetragener Verband versucht, aus einem älteren Unterlassungstitel (z.B. wegen eines Impressumsfehlers, einer Datenschutzlücke oder fehlender bzw. falscher AGB im Online-Shop) zu vollstrecken, können Sie sich mit einer Vollstreckungsabwehrklage wehren. Es ist ratsam, zu überprüfen, ob der vollstreckende Verband tatsächlich im Register des Bundesamtes für Justiz gelistet ist. Dies bietet eine neue Verteidigungsmöglichkeit gegen “Altforderungen” von Verbänden, die die neuen Anforderungen nicht erfüllen.
- Für Verbände: Die Entscheidung unterstreicht die Dringlichkeit, die Voraussetzungen des § 8b UWG zu erfüllen und sich in die Liste eintragen zu lassen. Ohne diese Eintragung verlieren selbst bestehende Unterlassungstitel an Durchsetzungskraft. Der BGH verdeutlicht, dass es kein “ewiges Vollstreckungsrecht” für nicht qualifizierte Verbände aus Übergangsregelungen geben kann.
Fazit
Die jüngste BGH-Entscheidung ist ein wichtiger Meilenstein für die Rechtssicherheit im Wettbewerbsrecht und stärkt das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs. Sie stellt klar, dass die neuen strengeren Anforderungen an die Klagebefugnis von Verbänden nicht nur für zukünftige, sondern auch für die Vollstreckung bestehender Unterlassungstitel gelten. Unternehmen erhalten damit ein wirksames Instrument, sich gegen die Vollstreckung durch Verbände zu wehren, die sich nicht den neuen gesetzlichen Standards unterworfen haben. Gleichzeitig ist es ein deutlicher Weckruf an alle Wirtschaftsverbände, die noch nicht gelistet sind, dies unverzüglich nachzuholen, um ihre Handlungsfähigkeit zu erhalten

