Online-Bewertungen sind für viele Unternehmen im E-Commerce Fluch und Segen zugleich. Sie beeinflussen Kaufentscheidungen und können den Ruf maßgeblich prägen. Doch was passiert, wenn eine Bewertung unzulässig ist und der Verfasser anonym bleiben möchte? Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit seinem Urteil vom 25. Juli 2024 (Az. I ZR 143/23) eine wichtige Klärung geschaffen: Unter bestimmten Voraussetzungen muss Google den Namen und die Adresse eines Rezensenten preisgeben. Dieses Urteil stärkt die Rechte Betroffener erheblich und setzt neue Maßstäbe für die Verantwortlichkeit von Plattformbetreibern.
Der Fall: Eine Ärztebewertung und Googles Verantwortung
Im Kern des Rechtsstreits stand die Klage eines Arztes gegen Google LLC, den Betreiber von Google Maps und Google Business Profile. Auf dem Profil des Arztes war eine aus dessen Sicht unzulässige Bewertung veröffentlicht worden. Nachdem der Arzt Google aufgefordert hatte, die Bewertung zu löschen und den Verfasser zu identifizieren, weigerte sich Google, den Namen des Rezensenten preiszugeben. Dies führte zu einer Klage, bei der der Arzt nicht nur die Löschung der Bewertung, sondern auch Schadensersatz für die Kosten der Rechtsverfolgung und die Nennung des Rezensenten begehrte.
Die Rechtslage vor dem BGH-Urteil
Plattformbetreiber wie Google haben grundsätzlich die Pflicht, bei Kenntnis einer Rechtsverletzung tätig zu werden. Bei unwahren Tatsachenbehauptungen oder Beleidigungen sind sie zur Löschung verpflichtet, wenn der Betroffene eine fundierte Beschwerde einreicht und die Rechtsverletzung glaubhaft darlegt. Strittig war jedoch lange Zeit, inwieweit die Plattformen auch zur Offenlegung der Identität des Rezensenten verpflichtet werden können, insbesondere wenn dieser anonym agiert. Hier kollidierten das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen mit dem Recht des Rezensenten auf Meinungsfreiheit und Anonymität.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen
Das Landgericht München I hatte die Klage des Arztes in erster Instanz abgewiesen. Das Oberlandesgericht München hingegen gab der Berufung des Arztes teilweise statt. Es verurteilte Google zur Zahlung von Schadensersatz für die Kosten, die dem Arzt durch die Beauftragung eines Rechtsanwalts zur Durchsetzung der Löschung entstanden waren. Die weitergehende Klage auf Auskunftserteilung über die Identität des Rezensenten wies das OLG München jedoch ab. Gegen dieses Urteil legten beide Parteien Revision beim Bundesgerichtshof ein.
Der BGH bestätigte zunächst das Urteil des OLG München in Bezug auf die Löschungspflicht: Google ist demnach zum Schadensersatz verpflichtet, wenn der Plattformbetreiber nach einem substantiierten Hinweis eine rechtswidrige Bewertung nicht löscht.
Die eigentliche Neuerung betrifft jedoch die Frage der Auskunftspflicht über die Identität des Rezensenten. Der BGH hat entschieden, dass Google unter bestimmten, strengen Voraussetzungen dazu verpflichtet sein kann, den Namen und die Adresse des Verfassers einer unzulässigen Bewertung preiszugeben. Dies gilt, wenn:
- Eine eindeutige Rechtsverletzung vorliegt: Die Bewertung muss eine schwere Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Betroffenen darstellen (z.B. eine unwahre Tatsachenbehauptung oder eine Beleidigung).
- Alle anderen Mittel ausgeschöpft sind: Der Betroffene muss alle zumutbaren Anstrengungen unternommen haben, um die Identität des Rezensenten auf anderem Wege herauszufinden. Dies kann zum Beispiel die Kontaktaufnahme über die Plattform oder die Einholung einer Unterlassungserklärung sein.
- Die Auskunft zur Rechtsdurchsetzung notwendig ist: Die Offenlegung der Identität muss erforderlich sein, um die Rechte des Betroffenen gegen den Verfasser der Bewertung durchzusetzen, etwa um Schadensersatz oder Schmerzensgeld zu fordern.
- Die Interessenabwägung dies rechtfertigt: Das Interesse des Betroffenen an der Rechtsdurchsetzung muss das Interesse des anonymen Rezensenten an seiner Anonymität überwiegen. Hierbei spielen die Schwere der Rechtsverletzung und das Schutzbedürfnis des Betroffenen eine zentrale Rolle.
Der BGH hat den Fall zur erneuten Verhandlung an das OLG München zurückverwiesen. Dort muss nun geprüft werden, ob diese Voraussetzungen für eine Auskunftspflicht im konkreten Fall des Arztes erfüllt sind.
Was bedeutet das für Unternehmen im E-Commerce und für Betroffene?
Dieses Urteil ist von großer Bedeutung für Unternehmen, die im E-Commerce tätig sind und sich mit Online-Bewertungen auseinandersetzen müssen. Es stärkt die Position von Betroffenen bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch anonyme Rezensionen:
- Verstärkte Löschpflicht: Plattformen müssen weiterhin schnell und effektiv auf glaubhaft dargelegte Rechtsverletzungen reagieren.
- Identifizierung als letztes Mittel: Die Offenlegung der Identität eines Rezensenten ist nun unter bestimmten Umständen möglich. Dies ist jedoch kein Freifahrtschein, sondern an hohe Hürden geknüpft, um die Meinungsfreiheit und den Datenschutz des Rezensenten zu wahren.
- Wichtigkeit der Dokumentation: Betroffene sollten sämtliche Schritte dokumentieren, die sie unternommen haben, um die Löschung zu erwirken und den Rezensenten zu identifizieren.
- Strategische Vorgehensweise: Bei unzulässigen Bewertungen ist eine abgestufte Vorgehensweise ratsam: Zunächst die Plattform zur Löschung auffordern, dann gegebenenfalls rechtliche Schritte zur Identifizierung einleiten, wenn die Rechtsverletzung schwerwiegend ist und alle anderen Wege ausgeschöpft wurden.
Das Urteil unterstreicht die Verantwortung von Plattformbetreibern wie Google im Rahmen ihres Geschäftsmodells. Während Meinungsfreiheit und Anonymität geschützt werden müssen, dürfen sie nicht als Deckmantel für Persönlichkeitsrechtsverletzungen dienen. Für Unternehmen bedeutet dies eine gestärkte Position im Kampf gegen Rufschädigung im Netz und trägt zu mehr Transparenz und Fairness im E-Commerce bei.
Fazit
Der aktuelle BGH-Beschluss ist ein Meilenstein für den Schutz von Persönlichkeitsrechten im digitalen Raum. Er präzisiert die Verantwortlichkeiten von Plattformbetreibern und gibt Betroffenen von unzulässigen Bewertungen ein neues Werkzeug an die Hand. Zwar bleibt das Recht auf Anonymität ein hohes Gut. Doch bei schwerwiegenden Rechtsverletzungen können sich Verfasser von Google-Bewertungen nun nicht mehr uneingeschränkt hinter ihrer Anonymität verstecken.
Für alle Akteure im E-Commerce – von Unternehmen bis zu den Plattformbetreibern – ist dieses Urteil ein klares Signal: Die Regeln für den Umgang mit Online-Inhalten werden schärfer, und der Schutz der Persönlichkeit hat einen hohen Stellenwert. Dies fördert nicht nur einen fairen Wettbewerb, sondern auch das Vertrauen der Verbraucher in die Glaubwürdigkeit von Online-Bewertungen.

